Der Alpsegen – ein Schutzritual
In den katholischen Schweizer Bergregionen ist er noch immer zu hören: Der Alpsegen, in der Innerschweiz als Betruf oder Bätruef bekannt. Allabendlich, wenn die Kühe im Stall und gemolken sind, wird der Alpsegen vom Älpler über die Weiden hinweg ins Tal gerufen. Ein Milchtrichter dient ihm dabei als Megaphon. Der Text unterscheidet sich in den verschiedenen Regionen, die altertümliche Melodieführung ist aber überall die gleiche. Wer sie das erste Mal hört, wird vielleicht an die lateinischen Chorgebete erinnert. Damit der Sprechgesang weit in die Berge und ins Tal reicht, steht der Älpler dafür auf einer Anhöhe und lässt den Alpsegen möglichst laut in alle vier Himmelsrichtungen ertönen. Es heisst, dass der Schutzbann so weit reicht, wie sein Gesang gehört wird.
Die Geschichte des Bätruefs
Der Sprechgesang des Älplers ertönt nicht etwa für die Touristen, sondern dient seit dem 16. Jahrhundert als Schutzritual. Der erste Bätruef war damals auf den Alpen an den Hängen des Pilatus zu hören und wurde „Ave Maria Rüeffen“ genannt. 1609 wurde er jedoch als heidnischer Viehsegen eine Zeitlang verboten. Die Rufform „Loba“ wurde als Anrufung der Kuh gedeutet. Das änderte sich, als Johann Baptist Diller (1668 – 1745) ein „Gott ze lobe“ daraus machte und dem ursprünglichen Viehsegen einen christlichen Text gab.
Der Älpler bittet mit seinem Gesang allabendlich, wenn die Sonne untergeht, Gott, Maria, Jesus und verschiedene Heilige darum, Mensch und Tier auf der Alp vor Unheil zu bewahren. Manche Betrufe nennen die einzelnen Gefahren: Unwetter, Räuber, Wölfe oder Geister. In den Bergen ist der Mensch den Naturgewalten ausgeliefert. Viele Sagen, welche die Älpler seit Jahrhunderten untereinander austauschen, handeln von Geistern und Unerklärlichem. Bevor der Älpler zu Bett geht, übergibt er den Schutz für sein Vieh und seine Alp höheren Mächten.